Gesetzesbegründung zu § 4 HinSchG

Zu § 4 (Verhältnis zu sonstigen Bestimmungen)

Zu Absatz 1

Die Regelung setzt Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit dem Anhang Teil II der HinSch-RL um.

 Die Vorschrift regelt das Verhältnis zu bereits bestehenden gesetzlichen Vorgaben zu sektorspezifischen Meldewegen. Es wird klargestellt, dass gesetzlich bereits bestehende spezifische Meldewege den Vorgaben dieses Gesetzes vorgehen sollen. Hintergrund dessen ist, dass die sektorspezifisch tätigen und etablierten Meldestellen regelmäßig über große Expertise und tiefes Fachwissen verfügen. Daher sollen Fälle, deren Bearbeitung dieses Fachwissen verlangt, nicht von diesen Stellen zu einer allgemeinen Meldestelle, wie sie mit diesem Gesetz eingerichtet wird, verlagert werden.

Die einzelnen Meldesysteme, auf die verwiesen wird, sehen jeweils ein Meldesystem für potentielle oder tatsächliche Verstöße unter Wahrung der Vertraulichkeit der Identität der meldenden Person vor. Der Kreis der möglichen Meldenden sowie der Verstöße, deren Meldung geschützt ist, sind jeweils auf den konkreten Einzelfall zugeschnitten. Daraus folgt, dass die spezifischen Meldesysteme dem mit diesem Gesetz eingerichteten allgemeinen Meldesystem nur insoweit vorgehen, als die potentiell hinweisgebende Person auch nach dem spezifischen Meldesystem geschützt ist und der konkret der Meldung zugrundeliegende Verstoß auch in den sachlichen Anwendungsbereich des spezifischen Systems fällt. Ist der persönliche oder sachliche Anwendungsbereich des spezifischen Meldesystems nicht eröffnet, kann das allgemeine Hinweisgeberschutzsystem greifen.

Das allgemeine Hinweisgeberschutzsystem kommt außerdem zur Anwendung, soweit die spezifischen Regelungen, auf die in Satz 1 verwiesen wird, keine Vorgaben machen. Damit wird festgelegt, dass die Bestimmungen des HinSchG auch die sektorspezifischen Rechtsakte ergänzen können, sofern deren Vorgaben nur Teilbereiche des Hinweisgeberschutzsystems umfassen. Relevant ist dies insbesondere in den Fällen, in denen die sektorspezifischen Bestimmungen nur ein internes (vergleiche § 23 Absatz 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes) oder nur ein externes Meldeverfahren (vergleiche § 53 GwG) vorsehen. Sofern die sektorspezifischen Regelungen beispielsweise für ein internes Meldeverfahren Vorgaben enthalten, bleibt daneben kein Raum für die Anwendung des HinSchG betreffend das interne Meldeverfahren, selbst wenn das HinSchG detailliertere Vorgaben macht.

Die Richtlinie 2009/16/EG sieht in Artikel 18 und Artikel 18a Beschwerdeverfahren vor, die alle vorgelegten Informationen oder vorgelegten Berichte einer Person oder Organisation erfassen, die ein berechtigtes Interesse hinsichtlich der Sicherheit des Schiffes einschließlich der Sicherheit und Gesundheit seiner Besatzung, der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord und der Verhütung von Verschmutzung hat (vgl. Artikel 2 Nummer 14 der Richtlinie). Für derartige Beschwerden, die die vorgenannten Inhalte betreffen, gehen die spezifischen Regelungen der Richtlinie und der nationalen Umsetzung im Schiffssicherheitsgesetz und in aufgrund der §§ 9, 9a und 9c des Seeaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnungen den Vorgaben des Hinweisgeberschutzgesetzes vor.

Bereits etablierte oder neu entstehende sektorspezifische Meldeverpflichtungen, -wege und -verfahren, mit denen Verstöße an bestimmte Stellen gemeldet werden können beziehungsweise müssen, die aber im Gegensatz zu den in Absatz 1 genannten Regelungen keine spezifischen Regelungen zum Hinweisgeberschutz vorsehen, bestehen weiterhin neben den Meldewegen des HinSchG. Das allgemeine Hinweisgeberschutzsystem des HinSchG kommt dann neben diesen in Absatz 1 nicht genannten sektorspezifischen Meldeverpflichtungen, -wegen und -verfahren zur Anwendung. Dies betrifft beispielsweise Artikel 140 der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenschutzmittel, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 999/2001, (EG) Nr. 396/2005, (EG) Nr. 1069/2009, (EG) Nr. 1107/2009,  (EU)  Nr. 1151/2012,  (EU)  Nr. 652/2014,  (EU)  2016/429  und  (EU) 2016/2031 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnungen (EG) Nr. 1/2005 und (EG) Nr. 1099/2009 des Rates sowie der Richtlinien 98/58/EG, 1999/74/EG, 2007/43/EG, 2008/119/EG und 2008/120/EG des Rates und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 854/2004 und (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 89/608/EWG, 89/662/EWG, 90/425/EWG, 91/496/EEG, 96/23/EG, 96/93/EG und 97/78/EG des Rates und des Beschlusses 92/438/EWG des Rates (Verordnung über amtliche Kontrollen) (ABl. L 95 vom 7.4.2017, S. 1); sofern der Anwendungsbereich des HinSchG eröffnet ist, kann eine Person, die einen Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2017/625 melden möchte, folglich zwischen einer Meldung nach Artikel 140 der Verordnung (EU) 2017/625 und einer Meldung nach den Vorschriften des HinSchG wählen; in letzterem Fall finden die Bestimmungen des HinSchG Anwendung.

Zu Absatz 2

Das Bedürfnis der hinweisgebenden Person und von Personen, die Gegenstand einer Meldung sind, nach Schutz vor der Preisgabe ihrer Daten ist höher zu werten als der Anspruch auf Zugang zu öffentlichen Informationen, den jedermann nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) und dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) hat. Daher wird die Anwendung des IFG und des VIG ausgeschlossen. Die Vorschrift entspricht den Regelungen für bereits geltende sektorspezifische Hinweisgeberschutzsysteme, die die Vertraulichkeit der Identität der hinweisgebenden Person schützen. Die Anwendung der Regelungen der Länder über den Zugang zu amtlichen Informationen wird entsprechend dem Umgang mit den Regelungen auf Bundesebene ebenfalls ausgeschlossen.

Diese Ausnahme gilt jedoch nicht für Regelungen des Bundes und der Länder über den Zugang zu Umweltinformationen. Dies ist notwendig, da das Umweltinformationsrecht des Bundes und der Länder eine 1:1-Umsetzung von europa- und völkerrechtlichen Vorgaben darstellt, bei denen es keine Befugnis eines EU-Mitgliedstaats zum vollständigen Ausschluss der Anwendung gibt, ohne gegen dieses höherrangige Recht zu verstoßen. Den- noch gewährleistet auch die Anwendung der Regelungen des Bundes und der Länder über den Zugang zu Umweltinformationen im Einzelfall einen gleichwertigen Schutz von hinweis- gebenden Personen und von Personen, die Gegenstand einer Meldung sind. Grundsätzlich gilt, dass soweit im Einzelfall nach Abwägung Ablehnungsgründe zum Schutz öffentlicher oder privater Belange einer Herausgabe entgegenstehen, sich dies nach den §§ 8 und 9 Umweltinformationsgesetz des Bundes (UIG) sowie den entsprechenden Rechtsvorschriften der Länder richtet. Danach gilt beispielsweise: Dem Ablehnungsgrund des Schutzes der personenbezogenen Daten unterfallen unter anderem die Identität der hinweisgeben- den Person sowie von Personen, die Gegenstand der Meldung sind. Soweit es um interne Mitteilungen privater oder staatlicher informationspflichtiger Stellen geht, wird in aller Regel der Ablehnungsgrund der internen Mitteilungen einschlägig sein. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichts (vergleiche Urteil vom 20.01.2021, Rs. C‑619/19, BVerwG 10 C 2.21) umfasst der Begriff der „internen Mitteilungen“ alle Informationen, die innerhalb einer informationspflichtigen Stelle im Umlauf sind, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden sind und die den Binnenbereich der informationspflichtigen Stelle nicht verlassen haben. Grund hierfür ist das geschützte Bedürfnis nach einem geschützten Raum für interne Überlegungen und Debatten. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts kann zudem auch eine bei einer Behörde vorhandene Umweltinformation, die von einer externen Quelle bei ihr eingegangen ist, in diesem Sinne „intern“ sein, wenn sie der Öffentlichkeit vor ihrem Eingang bei der Behörde nicht zugänglich gemacht worden ist oder hätte zugänglich gemacht werden müssen und wenn sie den Binnenbereich dieser Behörde, nachdem sie bei ihr eingegangen ist, nicht verlässt (EuGH, a.a.O. Rn 43, BVerwG, a.a.O., Rn. 19). Zudem haben der EuGH und das BVerwG festgestellt, dass eine starre zeitliche Begrenzung der möglichen Ablehnung nicht besteht, maßgeblich bleibt die Würdigung des jeweiligen Einzelfalls.

Zu Absatz 3

Das BKartA wird im Rahmen seiner Zuständigkeit zu einer externen Meldestelle nach § 22. Die Vorschrift stellt klar, dass hiervon die Vorgaben für die Behandlung von Kronzeugen in den §§ 81h ff. GWB, nach denen die Kartellbehörde bei Erfüllung der Voraussetzungen für die Kronzeugenbehandlung auf Antrag von der Verhängung einer Geldbuße gegenüber einem Kartellbeteiligten absehen oder diese ermäßigen kann, unberührt bleiben.

Zu Absatz 4

Die Regelung in Absatz 4 hat klarstellenden Charakter. Sie setzt die Vorgaben aus Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe d der HinSch-RL um, der festlegt, dass durch die HinSch-RL nicht die Anwendung von nationalem Recht in Bezug auf das Strafverfahren berührt wird. Dies ist von Bedeutung, um den Schutz der Integrität von Ermittlungen und Verfahren sowie die Verteidigungsrechte der Personen, die Gegenstand einer Meldung sind, sicherzustellen.

Dies bedeutet insbesondere, dass die Vertraulichkeit der Identität der hinweisgebenden Person im Rahmen eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens nur nach den Vorgaben der Strafprozessordnung (StPO) zugesichert werden kann. Denn als Zeugen sind Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber wesentliche Beweismittel, deren Angaben zur Ermittlung der Wahrheit in der Regel von ausschlaggebender Bedeutung sind.

Die Möglichkeit zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen ist insbesondere für die Verteidigung und aus Gründen der prozessualen Fairness unabdingbar. Auf die Weiter- und Bekanntgabe der Identität kann daher nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen in den gesetzlich normierten Fällen verzichtet werden.